Die unsichtbaren Kräfte des Universums: Physikerinnen

Jana Steuer bewegt sich als Astrophysikerin in einer noch immer ziemlich männlich dominierten Welt. Mit ihren Vorträgen will sie ihre Begeisterung für das Fach teilen - und Frauen in der Geschichte der Naturwissenschaften stärker ins Bewusstsein rücken.

Süddeutsche Zeitung, 07.04.2024 

Im Vortragssaal der Münchner Volkssternwarte sitzt ein neunjähriges Mädchen. Es geht um Kernspaltung, Radioaktivität und Dunkle Materie. Und um die Frauen in der Geschichte der Astrophysik, die bedeutend für diese Entdeckungen waren. Jana Steuer, 29, hält den Vortrag. Das Mädchen folgt ihren Worten aufmerksam. Ob es das alles schon verstehen kann? Am Ende kann die Neunjährige vielleicht nicht erklären, wie eine Kernspaltung funktioniert. Eines aber könnte sie verstanden haben: Frauen in der Astrophysik sind eher die Ausnahme, nicht die Regel.

Jana Steuers Vortrag an diesem Abend heißt "Die unsichtbaren Kräfte des Universums: Physikerinnen". Ein Thema, das ihr, selbst Astrophysikerin, am Herzen liegt. Sie spricht über Wissenschaftlerinnen, die trotz bahnbrechender Entdeckungen lange unbekannt und teilweise auch lange ohne Anerkennung blieben: Ada Lovelace, die erste Person, die Computerprogramme erstellte. Vera Rubin, die erste Beweise für Dunkle Materie fand. Katherine Johnson, die Flugbahnen für den ersten bemannten Flug zum Mond im Rahmen der Apollo-11-Mission berechnete und deren Leistung immerhin im Oscar-prämierten Film "Hidden Figures" gewürdigt wird. Die Liste der Frauen ist lang. Ein Beispiel möchte Steuer besonders hervorheben: "Lise Meitner war der erste Mensch, der verstanden hat, was passiert, wenn Atomkerne gespalten werden. Die theoretische Grundlage für die Spaltung kommt von ihr - im Film ,Oppenheimer' wird sie nicht einmal erwähnt", sagt Jana Steuer.

Christopher Nolans Film wurde bei den Oscars mehrfach prämiert, Lise Meitner bleibt die vergessene Hauptrolle. Einen Nobelpreis bekam sie nie, obwohl sie sage und schreibe 49 Mal nominiert war. Meitner war 1926 die erste deutsche Professorin für Physik und das trotz aller Widrigkeiten: Die Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin betrat Lise Meitner zeitweise nur über einen Hintereingang, weil im damaligen Preußen Frauen offiziell nicht studieren durften. Dieses Verbot fiel dort erst 1908 mit der Einführung des Frauenstudiums.

Die Zuhörer schütteln den Kopf. Jana Steuer spannt im Anschluss den Bogen zur Gegenwart. Klar, heute sei es selbstverständlich, dass Frauen und Männer in den Universitäten sitzen und dass es auch Astrophysikerinnen gibt. Im Vergleich zu Männern sind sie aber noch immer in der Unterzahl. "Es ist unmenschlich, wie damals mit Frauen umgegangen wurde: vom Verbot in Universitäten bis hin zur Tatsache, dass sie nur durch den Hintereingang reindurften oder für ihre Forschung nicht bezahlt und anerkannt wurden. Das ist keine hundert Jahre her. Ich glaube, an diesem Stigma zehren wir als Gesellschaft noch heute", sagt Steuer. Frauen und Mädchen bräuchten auch weibliche Vorbilder, und diese waren nicht immer genauso sichtbar wie ihre männlichen Kollegen. "Um gleichzuberechtigen muss man erst einmal ein Gleichgewicht schaffen", sagt Steuer.

"Da wirst du aber Probleme haben, einen Freund zu finden"

Sie erzählt von ihrer eigenen Studienzeit in München, wo sie auch geboren und zur Schule gegangen ist. Unwohl gefühlt habe sie sich nie im Vorlesungssaal. Das Studium habe ihr Spaß gemacht. Mit Professoren und Kommilitonen sei sie gut zurechtgekommen. Aufgefallen ist sie aber schon: "Manchmal haben mich Leute angesprochen, die ich selbst nicht wahrgenommen habe - sie aber kannten mich aus den Vorlesungen, weil ich eben eine von den wenigen Frauen war", sagt die 29-Jährige.

Sprüche wie "Da wirst du aber Probleme haben, einen Freund zu finden, der so eine Freundin will" oder "Toll, dass die Physik attraktiver wird" hat sie dennoch im Laufe ihres Studiums gehört. In Gesprächen mit Bekannten, auf Partys, von Außenstehenden. Es sind Kommentare, die zeigen, wie präsent solche Vorurteile sind. In ihrem Vortrag blendet Jana Steuer die Bemerkungen auf einer Folie ein. "Ja, das gehört eben auch zum Physikstudium", kommentiert sie ironisch. Mittlerweile kann sie darüber lachen. Die Zuhörer im Saal schmunzeln, wenn auch nachdenklich.

Naturwissenschaften sind nach wie vor eher ein "Boys Club". Hin und wieder fühle man sich als Frau im Studium unter Druck. "Man überlegt sich schon zweimal, was man sagt oder fragt. Man will ja nicht im Kurs sitzen und das Mädchen sein, das es nicht checkt", sagt Steuer. Junge Frauen hätten oft das Gefühl, dass sie mehr geben müssten, dass sie im Gegensatz zu ihren männlichen Kommilitonen besonders beweisen müssten, dass sie gut sind. "Von außen wurde mir dieser Druck nicht vermittelt, ich glaube aber, dass sich Frauen diesen Druck manchmal selbst machen, wenn auch unterbewusst."

Man müsse nicht zwingend ein Mathe-Genie sein, glaubt sie

Ob man Zusammenhänge verstehe, eine Theorie erklären kann oder nicht, habe nichts mit dem Geschlecht zu tun, findet sie. Wer sich für ein Physik- oder Astrophysikstudium interessiert, müsse auch nicht zwingend ein Mathe-Genie sein: "Man sollte die Bereitschaft mitbringen, sich lange in Themen einzuarbeiten. Dass Mathematik oder Physik Dinge sind, wozu man ein Talent haben muss, glaube ich nicht. Man braucht die Motivation, da durchzugehen. Für mich war es immer die Schönheit der Astrophysik. Das allein hat mich schon motiviert."

Jana Steuers Begeisterung für den Kosmos und die Sterne brachte sie bis zur Promotion. Sie forschte zu Exoplaneten. So heißen Planeten, die außerhalb unseres Sonnensystems kreisen. Doch Steuer brach ihre Promotion ab. "Ich war nicht glücklich", sagt sie, mit dem wissenschaftlich-theoretischen Arbeiten am Schreibtisch. Ihr habe es gefehlt, die Leidenschaft für Astrophysik mit fachfremden Menschen teilen zu können: "Am Tag der offenen Tür hat es immer besonders Spaß gemacht." Allerdings, fügt sie an, habe sie mit der Entscheidung auch gehadert: "Das war mit vielen Zweifeln verbunden. Auch weil ich eine Frau bin und am Ende Teil dieser Statistik bin, die aussagt, dass weniger Frauen promovieren als Männer."

Sie arbeitet für die ZDF-Sendung TerraX

Heute arbeitet Jana Steuer als Redakteurin bei TerraX Lesch&Co. In dieser Sendung des ZDF werden Themen aus der Naturwissenschaft verständlich und unterhaltsam vermittelt. Als Harald Lesch, der ja Professor für Astrophysik an der LMU ist, mitbekam, dass Jana Steuer die Promotion abbrechen möchte, kam er auf sie zu und stellte den Kontakt zu ehemaligen Studierenden und Doktoranden her, die im Bereich der journalistischen Wissenschaftskommunikation tätig sind. Ein Berufsfeld, für das sich auch Jana Steuer sehr interessierte. So konnte sie sich mit anderen über berufliche Möglichkeiten abseits der Universität austauschen und fand später ihren Weg in die Sendung des ZDF.

In ihrem Podcast "Ein großer Schritt für die Menschheit" spricht sie außerdem darüber, warum alle Menschen Sternenstaub in sich tragen, und was Sternleichen sind. Man darf sich das nicht trocken und theoretisch vorstellen. Jana Steuer vermittelt die Inhalte in Form von kleinen Geschichten und reichert diese mit ihrem Wissen und Fakten an. Sie nimmt die Hörer an der Hand und führt sie durchs Universum. "Ich bekomme manchmal Zuschriften von Leuten, die mir schreiben, dass sie meinen Podcast auch mit ihren Kindern hören. So was freut mich total", sagt Jana. Ein Podcast wie ein Pixar-Film, für die ganze Familie, sozusagen.

Wir sind alle aus Sternenstaub gemacht

Wie aber kommt nun der Sternenstaub in unsere Körper? Dafür muss man bis zum Urknall zurückgehen. "In der Astrophysik ist das ein alter Hut, der aber wunderschön ist. Kurz nach dem Urknall sind die ersten Sterne entstanden. Die bestanden aus Wasserstoff und Helium. Im Inneren der Sterne fusioniert der Wasserstoff. Dadurch entstehen Elemente: Kohlenstoff, Sauerstoff und Eisen, zum Beispiel. Sterne leben nicht ewig. Wenn sie explodieren, schleudern sie diese Elemente in den Kosmos. Kurz: Das Zeug, aus dem wir bestehen, wurde in den Sternen erbrütet. Alles, nicht nur Menschen, sondern alles im Universum, was nicht nur Wasserstoff und Helium ist, ist Sternenstaub", erklärt die Astrophysikerin. Sternleichen hingegen seien die Überreste, der Kern von einem gestorbenen Stern, nachdem er seine Hüllen abgeworfen hat.

Nach Steuers Vortrag gehen einige Zuhörerinnen und Zuhörer nach oben auf das Dach, Sterne schauen. "Die Sternwarte ist der perfekte Ort dafür, Teleskope gibt es auch. Das Gute an München ist aber, dass man von jedem hoch gelegenen Punkt schon viel sehen kann", sagt Jana Steuer. Nicht nur die Sterne strahlen am Nachthimmel, auch Planeten leuchteten sehr hell. "Wenn man etwas sieht, das knallhell ist, dann stehen die Chancen gut, dass das Jupiter ist. Den sieht man von München aus auch mit bloßem Auge", sagt die Astrophysikerin. Der Bereich um die Isar herum, je weiter raus aus dem Stadtzentrum desto besser, eigne sich, um Sternbilder sehen zu können. "Um die Sternkonstellationen besser erkennen zu können, gibt es Sternkarten-Apps, die bei der Orientierung helfen."

Der Saal leert sich. Eine Zuhörerin eilt nicht nach oben zu Teleskopen. Es ist das neunjährige Mädchen, das mit seinem Vater zum Vortrag gekommen ist. Es muss noch etwas loswerden: "Ich fand den Vortrag total spannend und cool", sagt es zu Steuer. In den Händen hält die Schülerin ein Souvenir der Sternwarte: ein kleines Meteoriten-Stückchen. "Das, was du da hast, ist älter als die Erde", sagt Jana Steuer zu ihr. Große Augen. Neugier. Staunen. Wird das Mädchen in ein paar Jahren in einer Astrophysik-Vorlesung sitzen? Vielleicht. Mehrere Vorbilder hat es schon.

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Italo-Disco in München, Süddeutsche Zeitung